Schließlich gibt es ja heute kaum noch Tätigkeiten und Jobs, die nicht von Befristung, Teilzeit, Unsicherheit, Planungsverlust und Angst geprägt sind. Warum soll es dann unser Beziehungsleben leichter haben? Wo eine Beziehung zwischen zwei Menschen jederzeit beruflich auseinander gerissen werden kann. Wo man es sich selbst in der gleichen Stadt nicht leisten kann, für den anderen seine Wohnung aufzugeben. Denn falls die Beziehung wiedermal nicht hält, woher kriegt man dann bei den heutigen Mietpreisen und schwachen Gehältern noch eine passable Mietwohnung im Innenstadtring her. Also leben wir doch lieber in getrennten Bezirken und verschieben die Entscheidung auf irgendwann.
Manche wiederum behaupten, die Generation Beziehungsphobie sei ein Produktmix aus der Generation Selfie, der Generation Ego, der Generation Selbstoptimierung und der Generation Ungeduld. Wer nur dann genügend Dopamin im Körper zum Fließen bringt, wenn ständig alle Möglichkeiten des Lebens ausgeschöpft werden, in der Freizeit oder beim andern/gleichen Geschlecht, wer durch Smartphone, Tablet oder Ipad zu einem verwöhnten Ungeduldsjunkie mutiert ist, wer heute mit Tinder, Lovoo und noch deutlicheren Loveportalen mehr Sex pro Tag und Button zur Verfügung hat, als eine Generation zuvor in ihrem ganzen Leben nicht, ja der hat ein Problem. Und das könnte Beziehungsangst durchaus verursachen. Doch so einfach ist es leider nicht. Therapeuten wie Stefanie Stahl und ihr hervorragendes Buch: „Jein!“ können dies nur bestätigen. Beziehungsängste werden durch die heutigen sozial-medialen Möglichkeiten sicherlich erleichtert.
Man denke nur an die unzähligen Möglichkeiten im Netz ein eigenes Psychoproblem mit einer Avataridentität verbergen zu können. Anderseits gilt heutzutage unter Zukunftsforschern der polyamore Mensch ( der bewusst gleichzeitig mehrere Beziehungen eingehende Mensch, wobei im Unterscheid zu früher, die Partner Bescheid wissen) als the NEXT BING THING. Da fällt es ja zunächst nicht weiter auf, wenn man jemanden trifft, der sich nicht festlegen kann und will. Früher, wenn man jemand Neuen in einer Bar kennenlernte, hatte man ja höchstens drei Widersacher: Der Ex, der noch nicht loslassen konnte, der Kumpel, der endlich seine Chance kommen sah oder eben Mr Nice Guy, der „unsere“ Neueroberung leider zwei Tage zuvor erfolgreich angemacht hatte. Und heute? Die drei sowieso plus noch ca. elf Datingportale mit Eric117, Frank XF und DanielOC.
Selbstverständlich gilt dies für Frauen, die Männer kennenlernen wollen, genauso. Ist es da ein Wunder, dass immer mehr Menschen Angst davor entwickeln, sich festzulegen. Bereits erlittene psychische Verletzungen in der jüngeren Vergangenheit machen dies noch verständlicher. Doch der wahre Grund für Beziehungsphobie liegt wie so oft in der weiter zurückliegenden Vergangenheit. Zum einen in der Kindheit ( die schwerere Form), zum anderen im frühen Erwachsenenstadium ( die leichtere Form). In der Kindheit ist es oft eine zu strenge, distanzierte oder überfürsorgliche, leider oft auch eine allein erziehende Mutter, die dem Kind keinen Raum lässt. Die ständiges Funktionieren, dauernde Erwartungen und Forderungen mit Erziehung verwechselt und früh im Kind Widerstand gegen eben solche Erwartungen hervorruft. Was dann im Erwachsenenalter beim Auftreten von Erwartungen zu Trotz und Selbstschutz vor angeblicher Unterdrückung und zum Abbruch der Beziehung führen kann.
Als junger Erwachsener (die leichtere Form) muss eine tiefe Verletzung in einer seiner ersten Liebesbeziehungen stattgefunden haben, um eine solche posttraumatischen Beziehungsphobie auszulösen. Beispielsweise, wenn derjenige erfährt, dass er während einer mehrjährigen Beziehung die ganze Zeit über betrogen wurde. Solch eine Verletzung kann dann zu einem späteren Schutzwall führen, der immer dann errichtet wird, sobald sich der Beziehungsphobiker zu sehr in einen anderen Menschen verliebt, jedoch nie wieder diesen Enttäuschungs-und Trennungsschmerz erleben möchte, und deshalb vorher lieber das Weite sucht. Selbstschutz geht ihm über alles. Therapeuten, wen wundert’s, empfehlen zurecht die Therapie. Zukunftsforscher möglicherweise die polyamore Lebensform. Der Autor empfiehlt Buddhistische Meditation gegen krampfhaftes Anhaften an sowieso Vergänglichem. Um das Loslassen zu lernen und das Vergängliche solange zu genießen, wie es da ist.
Genau. Der Artikel spricht mir aus der Seele. Kann nur hoffen, es lesen ihn viele Menschen. Bis dann. P.Largo